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Wächter des Tages        (OT: Dnevnor Dozor)

Russland, 2006, Farbe, 131 min

Regie: Timur Bekmambetov
Produzenten: Konstantin Ernst, Anatoli Maksimov, Adam F. Goldberg
Drehbuch Timur Bekmambetov, Alexander Talal
Musik: Yuri Potejenko
Kamera: Sergej Trofimov
literarische Vorlage: "Wächter des Tages" von Sergej Lukianenko
Konstantin Khabensky Anton
Mariya Poroshina Svetlana
Galina Tyunina Olga
Dmitri Martynov Jegor
Aleksej Chadov Kostya
Vladimir Menshov Gezer
Victor Verzhbitsky Zavulon
Zhanna Friske Alissa



Wir erinnern uns an die Ereignisse des ersten Films: Von den Menschen unbemerkt leben mitten unter ihnen die "Anderen" - Magier, Hexer, Gestaltenwandler, Vampire - die entweder dem Pfad der Dunkelheit oder dem des Lichtes folgen. Einem uralten Friedensvertrag Folge leistend kontrollieren die beiden Seiten sich zwar immerzu gegenseitig, lauern aber stets auch darauf, den Gegner im entscheidenden Moment übervorteilen zu können. Dereinst hatte der junge Anton, der sich noch nicht bewusst war ein lichter Magier zu sein, das Schicksal zugunsten der dunklen Mächte entscheidend beeinflusst, hätte er doch fast aus verletztem Stolz über die Trennung von seiner Freundin mit einem sinsitren Fluch seinen ungeborenen Sohn getötet. 12 Jahre später ist Anton ein Mitglied der Moskauer Nachtwache, der Elitetruppe der Lichten und das Schicksal (gibt es das überhaupt in diesem uralten Spiel?) will es, dass sein Weg den seines Sohnes kreuzt. Nach einem denkwürdigen Kampf mit Zavulon, dem Chef der Dunklen, läuft Jegor enttäuscht von seinem Vater, der ihn, wie ihm nun klar ist, ja dereinst beinahe zum Kindsmörder wurde, zu den Dunklen über und bringt das immerwährende Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften erheblich ins Wanken, reift in ihm doch der vielleicht mächtigste Andere aller Zeiten heran.

Inzwischen ist ein Jahr ins Land gegangen. Gezer, der Chef der Lichten, hat längst erkannt, dass in der schönen Svetlana, die sich im ersten Teil unbewusst selber mit einem gewaltigen Bann beladen hatte, dem beinahe ganz Moskau zum Opfer gefallen wäre, auch auf Seiten der Lichten eine übermächtige Andere heranwächst, die das Ungleichgewicht wieder ausbalanciert. Anton, der dies noch nicht ahnt, ist für ihre Ausbildung zuständig und liebt sie heimlich, was sein Leben nur noch komplizierter gestaltet. Als die beiden eine unheimliche Überfallserie der Dunklen aufklären sollen, stößt Anton erstmals wieder auf Jegor, der inzwischen ganz der Finsternis verfallen ist und sich auf vampirische Weise von der Lebenskraft der Sterblichen nährt. Lässt sich vielleicht mithilfe der Kreide des Schicksals, einem magischen Artefakt, mit dem der Legende nach die Geschichte umgeschrieben werden kann, all dies rückgängig machen? Anton macht sich auf die Suche…

Doch auch Zavulon trachtet nach der Kreide. So wird Anton eine Reihe von Morden an Mitgliedern der Tagwache ins staubige Schuhwerk geschoben, was schließlich sogar das Auftauchen der Inquisition, der gefürchteten richterlichen Instanz der Anderen, auf den Plan ruft. Anton bleibt nichts anderes übrig als seinen Körper mit dem seiner Kampfgefährtin Olga zu tauschen, doch reicht dies aus um seine Feinde zu täuschen? Immerhin gelingt es ihm Svetlana seine Liebe zu gestehen - in Olgas Körper! Als er endlich wieder in der eigenen Haut in den Besitz der Zauberkreide gerät und Jegors Namen auf eine Tafel schreibt, kommt dieser tatsächlich zu ihm, entwendet ihm aber rasend vor Eifersucht auf Svetlana das gute Stück.

Schließlich versammeln sich im Hauptquartier der Dunklen, einem riesigen Moskauer Luxushotel, eben jene um den 13. Geburtstag Jegors mit einem gewaltigen Fest zu begehen. Angetrieben vom Mut der Verzweifelung begibt sich Anton in diese Höhle des Löwen, wird dort aber nur verspottet. Voller Gram lässt er sich vollaufen. Als Svetlana auf der Suche nach unserem gebrochenen Helden ebenfalls auf dem inzwischen reichlich ekstatischen Fest auftaucht, gerät sie schließlich in ein magisches Duell mit Jegor, welches das Ende der Welt herbeizuführen droht. Endlich erkennt Anton seine Rolle im Gefüge und die wahre Bedeutung der Kreide des Schicksals...


Dass der erste Teil dieses in jeglicher Hinsicht vollkommen außergewöhnlichen Kinospektakels in Russland alle Rekorde brach und Jacksons "Herren der Ringe" wie auch die "Harry Potter" Filme auf die Plätze verwies, ja sogar für nichts weniger als den Neubeginn des russischen Kinos überhaupt sorgte, ist inzwischen sozuagen Geschichtsschreibung. Sonnenklar, dass man sich da mit breiter Brust an den zweiten Teil von Sergej Lukianenkos im Prinzip äußerst schwer verfilmbaren literarischen Vorlage der Wächter-Tetralogie machte - und gewann! Der Erfolg des ersten Teils wurde ganz lässig überflügelt. Nach nur zehn Tagen konnte man in Russland bereits ein Einspielergebnis von über 20 Millionen US$ verbuchen. So etwas hatte es dortzulande noch nie gegeben, und man muss sich mal vor Augen halten, dass es im ganzen riesigen Russland ungefähr so viele Kinos gibt wie hierzulande in der Region Rhein/Ruhr, also in etwa dem Landstrich zwischen Münster und Bonn, das Ruhrgebiet und die Großstädte Köln und Düsseldorf inklusive. Man vergleiche nur mal diese rund 100 km mit der Fläche von der Grenze zur Ukraine im Westen bis nach Vladiwostok an der pazifischen Küste oder von Irkutsk an der mongolischen Grenze bis an die eisigen Gestade der Laptew See im hohen Norden. Ist klar?

Doch auch beim ehemaligen Klassenfeind landete man mit Teil eins statt nur eines Achtungserfolges durchaus einen veritablen Blockbuster, und das obschon anders als im deutschsprachigen Raum der Film in der Welt der angelsächsischen Zunge nur im russischen Original mit englischen Untertiteln zu sehen war. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass der Film die Genrefans in unseren westlichen Breiten in zwei Lager spaltete (was exemplarisch auch bei den entsprechend lebhaften Diskussionen diesbezüglich in unserem hauseigenen Forum nachzulesen ist.) Die einen waren hellauf begeistert ob der düsteren, kalten Atmosphäre des winterlichen Moskaus, dem kühlen und schmuddeligen Look des Films, der unverbrauchten Gesichter und der ungewöhnlichen Erzählstruktur, stellte dies doch aus Sicht der Wohlgesonnenen gepaart mit überzeugender Action und MTVesker Bildmontage/Schnittfolge ein überaus gelungenes visuelles Erlebnis dar, während aber auch Menschen in nicht unwesentlicher Zahl das alles ganz anders sahen und den Film einfach nur als verworren, schlecht und doof bezeichneten. Das offene Ende und die vielen unbeantworteten Fragen taten ein Übriges hinzu. Der Rezensent möchte bitte in den ersten Topf geworfen werden!

Doch, wie man immer so schön sagt, never change a winning Team, oder meinethalben Konzept, beides wäre im vorliegenden Fall richtig, so dachte auch Russlands neues Regiewunderkind Timur Bekmambetov und führte sein Erfolgsrezept im Prinzip gleichermaßen fort, was heißt, wem Teil 1 nicht gefiel, der wird auch oder gerade dem zweiten Film nicht viel abgewinnen können. Wieder werden nur jene Menschen die Handlung bis in die letzte Konsequenz nachvollziehen können, die zumindest die ersten beiden Bände Lukianenkos gelesen haben, wobei man in diesem Fall noch viel freier mit der Vorlage umsprang als beim ersten Mal, als man sich im Wesentlichen auf das erste Kapitel des ersten Buches bezog. Diesmal orientierte man sich nur noch ganz grob an den Werken, nahm Elemente aus dem ersten wie dem zweiten Buch, fügte viele eigene Ideen hinzu und wob daraus eine neue Geschichte. Somit ist auch der Titel "Wächter des Tages" nicht ganz korrekt, denn schließlich wird - ganz anders als im Buch, in dem die Erzählperspektive wechselte - eigentlich Antons Geschichte weitergeführt, aber das geht in Ordnung, Film verlangt ja ohnehin nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.

Nahezu alle Figuren, die wir von den "Nachtwächtern" kennen, treffen wir auch hier wieder, wenngleich auch nicht mit gleicher Gewichtung ausgestattet. So übernimmt beispielsweise Antons Nachbar, der sympathische Vampir Kostya, eine überaus tragende Rolle, die ihm im Buch niemals zukommt, und sein Vater, auch eine Randfigur zuvor, rückt erst recht eingreifend ins Zentrum der Ereignisse. Bär und Tigerjunges hingegen tauchen nur ganz kurz auf, haben aber ihre Momente. Wirklich jedem einzelnen Mimen, und sei seine Rolle noch so klein, ist sein Spaß am und seine Hingabe an das Projekt anzumerken. Konstantin Khabensky ist hier erst recht ein hinreißender Anton, ganz kaltschnäuziger, charismatischer Antiheld in der Tradition eines Serie Noir Privatermittlers mit dunkler Vergangenheit, dem Herzen auf dem rechten Fleck und einer Schwäche für schöne Frauen und hochprozentigen Getränken. Galina Tyunina hat ihren großen Auftritt im Body Switch Part, eben wenn sie den Anton im Körper ihrer selbst gibt, was Momente grimmiger Komik innehat. Vladimir "Gezer" Menshov und Viktor "Zavulon" Verzhbitsky liefern sich ebenfalls einstweilen Momente großer Komik, die mitunter an die "Odd Couple" Filme eines Walter Matthau und Jack Lemmon gemahnen, so zum Beispiel in der Schluss-Sequenz. Überhaupt ist der Humor hier noch in viel größerer Gewichtung vorzufinden als im Vorgängerfilm. Ein skurriler Humor ist das, einstweilen ein grimmiger, böser, wobei man aber nicht gleich das Gefühl haben muss, man säße hier einer "Horrorkomödie" auf. Dafür ist der Rahmen auch viel zu episch. Zudem, zum großen Finale wird es ja in jeglicher Hinsicht noch richtig apokalyptisch, was Bekmambetov in beeindruckenden Bildern eines in sich zusammenstürzenden Moskaus zeigt, die gewiss nicht den Eindruck vermitteln, der Film habe insgesamt nur rund 4,2 Millionen $ an Produktionskosten verschlungen. Hätte man diesen Film mit vergleichbarem Aufwand in Hollywood entstehen lassen, ich bin sicher, man läge irgendwo bei 150 Millionen $ stattdessen. Das sagt doch was! Und wenn Anton sich über die riesigen Trümmerfelder zur Hausfassade eines abgerissenen Plattenbaus schleppt, um an die Wand mit der Zauberkreide ein mahnendes "Njet" (das muss ja nicht übersetzt werden, richtig?) zu kritzeln, dann kann man auch durchaus eine gewisse Kritik an den bestehenden Verhältnissen - speziell, aber nicht ausschließlich - im heutigen Russland darin lesen, dass das alte Russland, jenes mit dem Bekmambetov und seine Generation aufwuchs, immer weiter verdrängt, ja ersetzt, vom Westen assimiliert wird. In eine ähnliche Kerbe zielen wohl auch die Outfits der Nachtwächter, die ja in den groben Leinenjacken der Moskauer Stadtwerke auftreten und mit bulligen alten Lastwagen durch die Straßen brettern. Da lässt sich ein gewisser Sowjet-Chic nicht verhehlen, dennoch wird die Kapitalismuskritik sehr subtil an den Zuschauer gebracht, was ja eine große Tradition in der Geschichte der Phantastik hat, und gerade im heutigen Russland eines Vladimir Putin muss man ja wieder recht vorsichtig sein mit dem Äußern von Kritik. Allerdings haftet dieser Kritik auch etwas überaus Naives an, schließlich haben auch Bekmambetov und sein Team schnell gelernt, wie man heutzutage Blockbuster bastelt. Statt sich sklavisch an die Buchvorlagen zu binden hat der große Meister seinen Film nach Testvorführungen mehrfach umgeschnitten und ganze Elemente neu gedreht, um zum Beispiel der Liebesgeschichte zwischen Anton und Svetlana mehr Raum zu geben. Das gefalle dem weiblichen Publikum besser, so Bekmambetov, der natürlich auch längst wohl die Möglichkeit ins Auge gefasst haben wird, wohl schon bald im gelobten Land mit den drei verheißungsvollen Buchstaben hauptsächlich seinem Broterwerb nachgehen zu können.

Und wie geht es nun weiter mit den Anderen um Anton und Svetlana? Der Schluss der "Wächter des Tages" war ja durchaus ein eindeutiger und vermittelte den Eindruck, die Geschichte sei nun zu Ende erzählt, doch ursprünglich war ja von einer Trilogie die Rede, zumal in Lukianenkos Vorlage ja noch zwei weitere Titel zur Verfügung stünden, nämlich "Wächter des Zwielichts" und "Wächter der Ewigkeit". Klar, wir haben es hier mit einer Fantasy-Geschichte zu tun, da ist letztlich alles möglich, aber man munkelte ja bereits lange, der dritte Teil werde komplett in Amerika entstehen, mit amerikanischem Geld und amerikanischen Stars. Namen wie Jack Nicholson, Brad Pitt und Gary Oldman machten im weltumspannenden Netz die Runde, wobei man nicht weiß, ob hier schon ernsthafte Verhandlungen aufgenommen worden sind oder das alles letztlich doch nur aus der Gerüchteküche herübergeweht kam. Im Pressegespräch der Berlinale verkündete Bekmambetov selber, alles was er wisse ist, dass ein dritter Teil geplant ist, den die 20th Century Fox koproduzieren werde, in dem amerikanische wie russische Schauspieler mitwirken werden und er, Bekmambetov, letztlich wieder die Regie übernehmen wird.

Warten wir also ab, ob und wie es weitergehen wird, schauen uns so lange den vorliegenden Teil an und staunen immer wieder. Klar, zwar ist der Film nicht mehr gleichermaßen überraschend ausgefallen wie seinerzeit Wächter der Nacht, denn man ahnte ja bereits in Kenntnis der ersten Verfilmung, was da auf einen zukommen würde, zumal sich beide Filme sehr ähneln. Dennoch ist es Bekmambetov abermals gelungen, uns gute zwei Stunden lang perfekt zu unterhalten, uns eine atmosphärische Achterbahnfahrt der anderen Art zu servieren und uns auf eine Reise an düstere Orte mitzunehmen, auf der wir reichlich skurrile Typen treffen. Bekmambetovs Version der "Wächter" ist auf jeden Fall eine andere als die, die Lukianenko in seinen Büchern vermittelt, doch überzeugend ist sie allemal. Bravo!


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