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Charles Baudelaire

Charles Baudelaire. Er verkörperte den klassische Bohemien seiner Zeit wie beinahe kein zweiter, einen Dandy und chronisch klammen Geldverschwender, war ein maßloser Trinker, Drogenkonsument und Liebhaber wie naiver Anbeter schöner Frauen, aber auch ein schwärmerischer Politaktivist und Sozialromantiker. Vor allem aber war Baudelaire ein Innovator, der die Literatur Frankreichs und ganz Europas im 19. Jahrhundert wie kaum ein anderer erneuerte und als einer der, wenn nicht gar der Wegbereiter der literarischen Moderne gesehen werden muss. Und wenn das oft beschworene Klischee vom wilden Dichter, bei dem Genie und Wahnsinn tragisch ineinander verkrallt sind, nahezu in klassischer Weise auf Baudelaire zutraf, so kann man nur umso stärker den Schluss ziehen, nach ihm war nichts mehr wie es war. Obwohl es zunächst kaum jemand bemerkt hatte.

Charles-Pierre Baudelaire, so sein vollständiger Name, wurde am 9. April des Jahres 1821 in die Familie des Abenteurers, ehemaligen Priesters und hohen Verwaltungsbeamten Joseph-Francois Baudelaire, der zu jener Zeit bereits 62 Jahre alt war, aber einen äußerst liberalen Geist sein Eigen nannte, und seiner zweiten Ehefrau Caroline, geborene Dufays, geboren. 1827 verstarb der Vater, Charles war gerade sechs Jahre alt. Im November des darauf folgenden Jahres heiratete seine Mutter Caroline überraschend den ehrgeizigen Offizier Jaques Aupick. Baudelaire benannte den Moment der Eheschließung später das Ende seiner glücklichen Kindheit. 1832 siedelte die Familie nach Lyon um, vier Jahre später wieder zurück nach Paris. Charles war ein rebellisches Kind, das sich gegen den autoritären Erziehungsstil des Stiefvaters auflehnte. Nach seiner Schulzeit, während der er mehrfach für hervorragende Arbeiten ausgezeichnet wurde, begann Charles eher lustlos und gezwungenermaßen das Studium der Jurisprudenz. Tatsächlich aber trieb er sich hauptsächlich in literarischen Salons herum, pflegte Kontakte zu berühmten Zeitgenossen wie den Publizisten Henri de Latouche oder den Schriftsteller Le Vavasseur, aber auch zu Prostituierten und Glücksspielern. Bereits 1838 begann der junge Charles selber ernsthaft Gedichte zu verfassen.

Baudelaires Stiefvater Aupick, inzwischen General, mochte dem Lebenswandel des Ziehsohnes, der es inzwischen zu beträchtlichen Schulden gebracht hatte, nicht länger zusehen und beschloss mit Einverständnis der Mutter, ihn auf eine ausgedehnte Reise zu schicken, was zu jener Zeit für ein Kind der "besseren Gesellschaft" ohnehin unerlässlich war. Vermutlich erwartete Aupick, Baudelaire werde sich die "Hörner abstoßen" und geläutert und erwachsen zurückkehren, was aber nicht recht funktionieren sollte, denn die gewonnenen Eindrücke inspirierten Baudelaire endgültig zu einem Leben als Literat. Nach seiner Rückkehr gelobte er zwar offiziell "Besserung", doch verlangte er, gerade mit 21 volljährig geworden, die Auszahlung des väterlichen Erbes, rund 100.000 Francs, ein beträchtliches Vermögen zu jener Zeit. Für das Geld richtete er sich eine aufwendige Wohnung ein und pflegte einen luxuriösen Lebensstil. Binnen kurzer Zeit hatte er mehr als die Hälfte des Geldes verprasst. Seine Familie ließ ihn per Gericht unter die finanzielle Vormundschaft eines spezialisierten Anwaltes stellen, der ihm fortan aus den Resten des Vermögens monatlich 200 Francs auszahlte. Diese Kränkung führte zu einem nahezu endgültigen Bruch mit seinen Eltern.

Inzwischen hatte Charles Baudelaire begonnen, seiner Schriftstellerei ernsthafter nachzugehen. Als Feuilletonist machte er sich zwar Mitte der 1840'er Jahre gerade mit seinen "Salon" Kritiken einen Namen, viel einbringen tat ihm dies allerdings nicht. Er pflegte ein Verhältnis mit der verruchten Schauspielerin Jeanne Duval, von dem angenommen wird, dass es ihm die "Geißel des 19. Jahrhunderts" einbrachte - die Syphilis! In seinen Arbeiten indes begann der Begriff der Moderne seinen Geist zu beflügeln. 1847 veröffentlichte er die kurze Novelle "La Fanfarlo", die er dann später als nicht weiter beachtenswert bezeichnete. Alkohol und verschiedene Opiate wurden zu ständigen Begleitern Baudelaires und verschlangen viel Geld, was ihn immer wieder in schwere Depressionen trieb. Im Revolutionsjahr 1848, in dem die Völker Europas auf die Barrikaden gingen, fing auch Baudelaire den neuen Geist mit Feuer und Flamme ein. Er fühlte sich vom Sozialismus angezogen und beteiligte sich an den Juni-Aufständen in Paris, doch die Erfolglosigkeit der Aktionen brachten ihm nur mehr Frustrationen ein.

Zu jener Zeit begann für Baudelaire ein weiterer wichtiger Aspekt seines Wirkens: er begann die Schriften des amerikanischen Klassikers Edgar Allan Poe, in dem er einen Geistesbruder sah, ins Französische zu übersetzen. Seine Aufsätze über den prägenden US Dichter zählen bis heute zu den wichtigsten Quellen das Leben Poe betreffend.

Bis in die 1850'er Jahre veröffentlicht Baudelaire in vielen Zeitschriften seine Arbeiten; Gedichte, Feuilletons, Studien, Übersetzungen, und brachte es zum angesehenen Kopf der Pariser Intelligenzia. Im Jahre des Herrn 1857 - Baudelaire war mit inzwischen 36 Jahren nicht mehr ein ganz junger Stürmer und Dränger - erschien schließlich die erste Fassung seines wegweisenden Opus Magnum - die Fleurs du Mal - als eigenständiges Buch. Viele der darin enthaltenen Gedichte waren ja bereits zuvor in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht worden, doch das Gesamtwerk geriet zum Skandal. Sofort wurde ein Prozess wegen "Beleidigung der öffentlichen Moral" gegen Baudelaire und seinen Verleger Poulet-Malassis in Gang gesetzt, der sie mit Geldstrafen belegte. Die Blumen des Bösen wurden in den Pariser Salons eifrig diskutiert, gelobt, verdammt oder als obszön abgetan. Freilich, man redete über das Buch, Geld brachte es seinem Schöpfer nicht ein - im Gegenteil, er durfte ja sogar eine Strafe dafür zahlen. Zudem durften in den folgenden Ausgaben sechs Gedichte nicht mehr publiziert werden, unter ihnen Der Vampir und Die Verwandlung des Vampirs.

Ein weiteres Ereignis des Jahres 1857 war für Baudelaires von entscheidender Wichtigkeit: der Tod seines Stiefvaters Jaques Aupick. Von nun an verbesserte sich das Verhältnis zu seiner Mutter wieder, mit der er nachfolgend immer mehr Zeit verbrachte.

Die Jahre 1861/62/63 gerieten Charles Baudelaire zu seinen erfolgreichsten. Zum einen erschien die zweite, um 35 Gedichte erweiterte Auflage der "Fleurs du Mal", seine berühmte Studie über den Komponisten Richard Wagner, dessen glühender Verehrer der Dichter war, erschien in der "Revue de Paris", ein Großteil seines "Poèms en prose" Zyklus wurde in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht, er pflegte eine enge Freundschaft mit dem Maler Manet, der 1862 das Bild "La Maitresse de Baudelaire" malt (und Jeanne Duval meint?). Zudem veröffentlicht er weitere hoch beachtete Studien und Aufsätze und der vierte und vorletzte Band seiner Poe-Übersetzungen kam heraus. Baudelaires Stern strahlte hell.

Dennoch plagten ihn immer größere Geldsorgen. 1864 fasste er den Entschluss, nach Brüssel zu gehen, der Stadt, in der sich sein Freund und Verleger Poulet-Malassis auf der Flucht vor seinen Gläubigern niedergelassen hatte. Er hoffte, es in der belgischen Hauptstadt endlich zu Reichtum bringen zu können, doch dies blieb ihm versagt. Maßlos enttäuscht verfasste er mehrere polemische Pamphlete über Brüssel und Belgien. Auch die 1866 von Poulet-Malassis in Brüssel publizierte Gedichtsammlung "Les Epaves", die auch die sechs in Frankreich indizierten Gedichte aus den "Fleurs du Mal" enthielt, brachte nicht den erhofften finanziellen Erfolg. Baudelaires Gesundheit war inzwischen aufgrund der fortschreitenden Syphilis arg angegriffen, seine deprimierte Gemütslage tat ein Übriges hinzu. Schließlich erlitt er im gleichen Jahr einen Schlaganfall, der ihn nahezu halbseitig lähmte. In Begleitung seiner Mutter kehrte er im Spätsommer 1866 nach Paris zurück. In den folgenden Monaten verschlechterte sich sein Zustand rapid. Bald konnte er nicht mehr sprechen und verfiel zusehends.
Charles Baudelaire verstarb geistig umnachtet am 31. August 1867 in der Klinik des Dr. Duvall. Er ist nur 46 Jahre alt geworden.

Die Anerkennung der Bedeutung seines Werkes hat er nicht mehr erfahren können. Doch bereits die nächste Generation der französischen Lyriker, die so genannten Symbolisten, Dichter wie Verlaine oder Rimbaud, sahen in Baudelaire den Begründer der modernen Dichtkunst und ein wegweisendes Vorbild. Heute schätzt man den Verdienst Baudelaires für die Lyrik noch viel höher ein. Er suchte nach den Idealen der Romantik in der düsteren und gefährlichen Welt der Großstadt, wo sie plötzlich schmutzig und hässlich erschienen, verunreinigt vom überbevölkerten Moloch einer modernen Zeit. Der Mensch ist hin und her gerissen zwischen gut und böse, dunkel und hell.
Baudelaire war somit auch der Begründer dessen, was man heute gern Großstadtlyrik nennt, ein Chronist des Aufbruchs, des Übergangs von der "guten alten Zeit", wie sie noch die Romantik idealisierte, in die schonungslose Gegenwart, die schmutzigen Hinterhöfe und Fabrikhallen, die dreckigen Gossen, die Huren und Mörder bevölkerten, Gestrandete und gebrochene Träumer, wie er selber einer war.
Fürwahr, Charles Baudelaire hatte einen nicht geringen Anteil daran, die europäische Lyrik ins 20. Jahrhundert zu führen, dessen erstes ganz frühes Grau sich ganz allmählich am Horizont erahnen ließ.


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